Louise Weiss - ihr Leben und Wirken
Louise Weiss kam am 23.Januar 1893 in Arras in Frankreich zur Welt. Die damalige Zeit war politisch angespannt. Frankreich musste noch die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 verarbeiten, wo das Elsass und Teile Lothringens an Deutschland verloren gingen. Die Familie von Louise Weiss war elsässisch und sehr patriotisch. Daher wählten sie das Exil in Arras und nicht die Einbürgerung.
Louise Weiss ist sehr begabt und schreibt gute Noten. Sie suchte die Anerkennung ihres Vaters,
aber dieser sieht den Platz der Frau in der Kindererziehung und am Herd.
Die Familie gehörte dem wohlhabenden Großbürgertum an, so dass ein Studium für Louise leicht finanzierbar gewesen wäre. Doch ihr Vater unterstützte dies nicht, da sie ein Mädchen war.
Schließlich galten Frauen am Anfang des 20. Jahrhunderts als minderwertig und den Männer untergeordnet, einzig dazu geboren, um zu heiraten und Kinder zu bekommen.
Studieren war somit nicht vorgesehen.
Seit 1899 lebt die Familie Weiss in Paris. Im Internat Lycée Molière ist Louise eine gute Schülerin. Sie erhält erste Auszeichnungen, die sie allerdings vor ihrem Vater verheimlicht.
Louise ist davon selbst enttäuscht und wütend über das starre Korsett ihrer Zeit, aber ihr Wissensdurst ist größer. Ihre Mutter, die ihre Fähigkeiten erkennt, ermutigt sie schließlich zu einem Studium der Geisteswissenschaft am Collège Sévigné, ohne Wissen des Vaters.
Im Sommer 1914 wird Louise nach bestandenem Examen auf diese Weise mit 21 Jahren die jüngste Studienrätin (Lehrerin) Frankreichs.
Doch am 1. August beginnt der 1. Weltkrieg mit einer Generalmobilmachung. Die Menschen im Norden Frankreichs fliehen vor den vorrückenden deutschen Truppen. Auch Familie Weiss verlässt Paris und zieht auf ihren Landsitz in Saint-Quay-Portrieux in der Bretagne.
Louise Weiss kündigt ihre Arbeit an einem Mädchengymnasium und kümmert sich um die in großer Zahl in der Bretagne ankommenden Flüchtlinge. Auf diese Weise wird sie zur Kriegskrankenschwester.
Doch dieses humanitäre Engagement befriedigte weder ihre Ambitionen, noch ihre Intelligenz.
Sie wollte die Kriegsgründe verstehen und hatte die Hoffnung, Wege zu einem künftigen dauerhaften Frieden zu finden.
Deshalb kehrte Louise nach Paris zurück und widmete sich dem Journalismus.
Im Januar 1918 gründet sie die Zeitschrift L‘Europe Nouvelle.
Hier widmet sie sich ganz dem Gedanken eines vereinten Europas.
Louise Weiss erlebt den Versailler Vertrag und missbilligt die Art, mit der die Siegermächte mit den Besiegten umgehen. In ihrer Zeitung formuliert sie ihre Gedanken, dass es kein geeintes Europa ohne eine Aussöhnung der Völker geben könne.
Für Louise Weiss muss ein vereintes Europa die nationalistischen Feindseligkeiten überwinden und sich auf ein gemeinsames Parlament stützen, welches Gewalt durch Gesetze ersetzt.
Ihre Zeitschrift ist das Sprachrohr ihrer Ideen und zahlreichen Vorschläge.
Sie befreundete sich mit Aristide Briand, dem sogenannten Friedensapostel. Gemeinsam standen sie für Völkerverbindung und die Überwindung des Nationalismus.
Doch sie weiß auch, dass Reden allein nicht ausreicht. Und so gründet sie die L‘Ecole de la Paix, Die Schule des Friedens.
Die Machtergreifung Adolf Hitlers beendet den europäischen Traum und zerstört die Utopie von Aristide Briand und Louise Weiss. Es gibt keine Hoffnung mehr auf Frieden. Deutschland verlässt den Völkerbund und rüstet erneut auf.
Louise Weiss stellt ihre Zeitschrift ein, weil sie befürchtet, mit dem Abdruck diplomatischer Dokumente auch Nazis und Faschisten Gehör zu verschaffen. Ihr letzter Artikel 1934 ist überschrieben mit: „Wir paktieren nicht mit Hitler“.
Louises Traum von einem friedlichen Europa zerschellt.
In der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre beherrscht Arbeitslosigkeit und Armut das politische Geschehen. Die Frauen bleiben in dieser Zeit ohne Stimme, ihr Wahlrecht ist kein Thema mehr.
Louise Weiss nimmt sich nun, mit 40 Jahren, ledig und kinderlos, dieser Sache an, die sie schon in ihrer Jugend umgetrieben hatte. Sie wird zur Streiterin für das Frauenwahlrecht und für die politische Gleichstellung von Männern und Frauen.
Die politische Männerwelt wehrte sich mit aller Macht, stellte die Feministinnen als dumm und unfähig hin, als Unruhestifterinnen. Alle wurden verunglimpft, die es wagten, ihre Rechte einzufordern.
Von allen Risiken, die die Männer nicht eingehen wollten, erschien ihnen die Änderung des Wahlrechts am gefährlichsten. Sie hatten Angst vor ihren Frauen und Töchtern und ließen sie lieber am Herd und in der Kirche.
Louise Weiss gründete zur Stärkung ihres feministischen Engagements im Oktober 1934 die Vereinigung La Femme Nouvelle, Die neue Frau.
Hiermit möchte sie ihren Kampf für das Frauenwahlrecht in eine breite Öffentlichkeit tragen.
Während im europäischen Ausland das Frauenwahlrecht längst Einzug gehalten hatte, war es nur in Bulgarien, Jugoslawien, der Schweiz und eben Frankreich noch nicht zu finden.
Louise Weiss fordert Frauen auf, sich bei den anstehenden Wahlen aufzustellen. Sie fordert ebenfalls alle Frauen auf, diese Kandidatinnen zu wählen, eine Art ziviler Ungehorsam. Louise Weiss kandidierte auch selbst.
Am Wahltag stellte sie mit ihren Mitstreiterinnen Wahlurnen in den Straßen auf und forderte die Frauen auf zu wählen. Für diese Dreistigkeit wurde sie von der Polizei mitsamt der Wahlurnen unter dem Vorwand, sie störe die öffentliche Ordnung, abgeführt.
Doch das Frauenwahlrecht blieb auf der Strecke. Louise Weiss ließ sich nicht unterkriegen. Sie wundert sich über die Tatenlosigkeit ihrer Mitstreiterinnen und aller Frauen. Schließlich zahlen sie alle Steuern, werden aber schlechter bezahlt als Männer mit gleicher Ausbildung und dürfen nicht darüber mitentscheiden, wie ihr Land gelenkt wird.
Louise Weiss versuchte im Jahr 1936 durch verschiedene Aktionen die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. So organisierte sie zum Beispiel eine Veranstaltung, in der Frauen symbolisch ihre Ketten verbrannten.
Doch den Abgeordneten, den Ministern und Regierenden gehen diese Frauen eindeutig zu weit, sie empfinden sie als eine Belästigung und sind weiterhin gegen ein Frauenwahlrecht, so unermüdlich Louise Weiss auch kämpft.
Der Lauf der Geschichte beendet 1939 mit dem Beginn des 2. Weltkrieges zunächst die Bemühungen für die Gleichberechtigung der Frauen in Frankreich. Alles, wofür Louise Weiss kämpfte, schien verloren:
Frieden – ein geeintes Europa – die Gleichstellung der Frauen
Am 14. Juni 1940 marschiert die Wehrmacht in Paris ein.
Die Mutter von Louise Weiss ist Jüdin und nach dem Vertrag von Vichy ist nun auch Louise Weiss selbst von Deportation und Enteignung bedroht. Sie muss daher zunächst an sich selbst denken, nimmt eine andere Identität an und geht in den Untergrund.
Über diese Zeit ist wenig bekannt. Sie selbst behauptet, eine Widerstandszeitschrift gegründet zu haben - La Nouvelle République, Die neue Republik . Belegt ist dies aber nicht.
Die Zeit zwischen 1940 und 1944 wurde Louise Weiss später immer wieder vorgehalten, obwohl sie aufgrund der äußeren Umstände nicht so handeln konnte, wie sie es vielleicht gern getan hätte.
Im April 1944 gesteht General de Gaulle in Algier den Frauen ihr Wahlrecht zu.
1945 nehmen die Frauen erstmals an den Wahlen teil.
Louise Weiss braucht einen Neuanfang.
Sie entscheidet sich, künftig als Journalistin und Filmemacherin aus aller Welt zu berichten und bereist in den kommenden 20 Jahren den gesamten Planeten und berichtet über Gegenden, wo bisher erst wenige oder gar keine Filmemacher gewesen waren. Sie hoffte, dass die Menschen, je mehr sie über die verschiedenen Völker der Welt wissen, umso friedlicher miteinander umgehen und Konflikte verhindern könnten.
Doch Louise Weiss dreht nicht nur Filme. Sie schreibt auch Bücher, Theaterstücke und ihre Memoiren.
Im Jahr 1979 schließt sich für Louise Weiss der Kreis in ihrem Leben. Als die ersten Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen, bietet ihr Jacques Chirac einen Platz auf der Liste, für den Aufbau des neuen Europa.
Louise Weiss wird in das erste frei gewählte Europäische Parlament gewählt. Mit ihren 86 Jahren wird sie dessen Alterspräsidentin und hält am 17. Juli 1979 in Straßburg die Eröffnungsrede.
Es ist der schönste Tag in ihrem Leben.
Sie blieb Abgeordnete des Europäischen Parlaments bis zu ihrem Tod.
Am 26. Mai 1983 verstarb Louise Weiss.
Louise Weiss musste ihr Leben lang kämpfen und beweisen, dass sie es mit Männern aufnehmen konnte. Sie hat das Jahrhundert in der Überzeugung durchlebt, dass Utopie nur die Wirklichkeit von morgen ist.
„Die Achtung unserer Vorfahren darf unser Handeln nicht lähmen und uns nicht den Blick in die Zukunft verstellen. Wir dürfen nicht innehalten. Die Geschichte geht weiter. Sichtweisen ändern sich. Was gestern unmöglich war, wird morgen möglich sein.“
In Anlehnung an "VERGISSMEINNICHT", ARTE France, 2015